Darf ein Christ als Soldat Waffendienst leisten?

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Sind die weltweiten militärische Einsätze der westlichen Staaten und der Bundeswehr zu verantworten?

 

Nach den furchtbaren Erfahrungen des 2. Weltkrieges haben schon in den 1950'iger Jahren bei der Gründung der Bundeswehr und in den 1980'iger Jahren anlässlich der Stationierung von Mittelstreckenraketen die Fragen des Militärs zu heftigen Diskussionen und zu einer politisch-pazifistischen Friedensbewegung geführt. Angesichts der heutigen Situationen in Afghanistan, Lybien, Syrien, im Irak, im Sudan, in Mali, Nigeria und Somalia, wo Islamisten brutale aggressive Strukturen des Terrors aufgebaut haben, ist die Diskussion über Militäreinsätze neu entflammt. Darf, oder muss vielleicht sogar, die westliche Welt militärisch eingreifen, um Völkermord, Ausrottung von Christen und anderer Minderheiten und den weltweiten Export von Terror zu unterbinden? In dieser Frage vertritt insbesondere die ehemalige Landesbischöfin Margot Käsmann eine pazifistische Haltung und meint, für die zu erwartenden Folgen nicht verantwortlich zu sein.

 

Nun kann man als Christ die jeweiligen konkreten Situationen und die daraus zu folgernden politischen und militärischen Maßnahmen durchaus unterschiedlich, ja gegensätzlich beurteilen. Soll sich Deutschland mit der Bundeswehr in Auslandseinsätze begeben und wenn ja, in welche und in welche besser nicht? Steht Deutschland in einer weltpolitischen polizei-militärischen Verantwortung? Sollen NATO und Bundeswehr angesichts der weltweiten Spannungen und Krisen ihren Etat für mehr Soldaten, modernere militärische Ausrüstungen und Waffen aufstocken? Sollen Waffen in ein Krisengebiet zur Unterstützung bestimmter Gruppierungen geliefert werden?

 

Doch bevor man zu diesen Einzelfragen Stellung bezieht, gilt es die grundlegende Frage zu beantworten, ob ein Christ grundsätzlich Waffendienst leisten darf. Das wird von manchen Christen, so zu sagen „aus dem Bauch heraus“ verneint, weil Krieg und Töten eben furchtbar sind. Manche führen isoliert eine Bibelstelle an wie, „Du sollst nicht töten“, 2. Mose 20, 13 oder „Schwerter zu Pflugscharen“, Jes. 2,4 oder pauschal die Bergpredigt Jesu. Aber nicht einzelne, isoliert betrachtete Bibelstellen vermitteln uns eine biblische Antwort und Aussage, sondern nur die Gesamtheit aller Schriftstellen zu einer Frage und einem Thema.

 

So kann z.B. Jes. 2, 4 - "Schwerter zu Pflugscharen" nicht allein ohne Jes. 11, 6-8 verstanden werden. In diesem Zusammenhang wird man erkennen, dass es nicht um eine vordergründige Handlungsanleitung geht, sondern dass die Heilige Schrift die Friedens- und Erlösungssehnsucht der gesamten Schöpfung aufnimmt und ewigen Frieden für die neue Welt verheißt (Jes. 65, 17; Mk. 13, 31; Offb. 21, 1).  

 

Es soll deshalb einmal insgesamt der Zusammenhang der zum Thema einschlägigen Stellen der Heiligen Schrift aufgezeigt werden, um zu beantworten, unter welchen Voraussetzungen und in welcher Weise wir als Christen politische Verantwortung tragen und damit auch weltliche Gewalt innerhalb der staatlichen Ordnung (Justiz, Polizei, Militär) ausüben können. Dazu empfiehlt es sich, die angegebenen Bibelstellen nachzulesen und der Gedankenführung nüchtern und unvoreingenommen zu folgen.

 

Gottes Gebot: Du sollst nicht töten

(2. Mose 20, 13 und 5. Mose 5, 17)

 

Oft wird behauptet, das 5. Gebot stehe doch ganz klar gegen jedes Töten und gegen jeden Waffendienst. Doch trifft das so nicht zu, denn Gott gab seinem Volk Israel zugleich eine detailierte Kriegsordnung, 5. Mose, Kap. 20 u. 21. Was also ist mit dem 5. Gebot gemeint? Martin Noth schreibt in der bekannten theologisch wissenschaftlichen Kommentarreihe „Das Alte Testament Deutsch“, Bd. 5, S. 133: „Im Verbot des Tötens (V. 13) wird eines der beiden dem Hebräischen geläufigen Verben für „totschlagen“ gebraucht. Ein Unterschied zwischen vorsätzlichem Mord und unbeabsichtigten Totschlag wird mit diesen Verben anscheinend nicht ausgedrückt. Wohl aber schließen sie offenbar den Begriff der Eigenmächtigkeit ein. Für den Vollzug der durch legitimen Rechtsspruch verhängten Todesstrafe sowie für das Töten eines Feindes im Krieg pflegt man im Hebräischen sich anderer Ausdrücke zu bedienen (im ersteren Falle sagt man „sterben machen“ - so z.B. 2. Mose 19, 12b – im letzteren Falle „erschlagen“).“ Somit bedeutet der Sinn des Gebotes: Du sollst nicht aus Eigenmacht töten. Beim Todesurteil und Krieg erfolgt das Töten eben nicht eigenmächtig, sondern im Auftrag und Vollmacht der Staatsgewalt. Zwar ist Gott der Herr über Leben und Tod aber er hat die Staatsgewalt als seine Stellvertreterin auf Erden bevollmächtigt, zur Abwehr und Strafe der Bosheit auch Menschen zu töten (Röm. 13, 4). Die Staatsgewalt soll im Auftrag Gottes regieren und trägt deshalb auch vor Gott die Verantwortung für Gerechtigkeit, für Todesurteile und für die Entscheidungen über Krieg oder Frieden.

Ein Soldat und Polizist handelt also nicht eigenmächtig, sondern er ist nur Werkzeug der Staatsgewalt. Er kann nur grundsätzlich entscheiden, ob er in den Dienst der Staatsgewalt als Vollzugsorgang treten will oder nicht. Als Vollzugsorgan hat er grundsätzlich nicht die Angemessenheit der staatlichen Gewalt zu prüfen und individuell zu entscheiden, ob er sie nun vollzieht. Ein einfacher Soldat wäre auch überfordert, denn er hat nicht Einblick in alle Fakten und Motive der politischen und militärischen Führung. Außerdem vernebelt erfahrungsgemäß die eigene und die feindliche Propaganda Fakten und Motive. Allerdings hat er sich persönlicher Grausamkeiten und Rache zu enthalten und seit der Neuzeit das internationale Kriegsvölkerrecht zu respektieren.

 

Die Stellung der Obrigkeit bzw. Staatsgewalt ist eine von Gott gesetzte Ordnung für die gefallene Welt. Im Paradies bedurfte es ihrer noch nicht.

 

Weltliche Ordnungen in der gefallenen Schöpfung

 

Wie wir aus dem Schöpfungsbericht lesen können, beinhaltet Gottes Schöpfung der Welt auch Gottes Ordnungswillen. Die Elemente erhalten eine bestimmte Anordnung (1. Mose 1, 4.6.14.18) und die Geschöpfe eine bestimmte Zuordnung zueinander (1. Mose 1, 20.24.26.29.30) und Gott dem Schöpfer ist alles untergeordnet. „Und Gott sah an alles, was er gemacht hatte, und siehe, es war sehr gut“ (1. Mose 1, 31).

 

Mit dem Sündenfall verstieß der Mensch gegen Gottes Willen und gegen die ihm gegebene harmonische Ordnung. Dem Menschen genügte es nicht, dass er zum Herrn über die Erde und anderen Geschöpfe gesetzt war, sondern er wollte selbst sein wie Gott (1. Mose 1, 28; 3, 5). So wie der Mensch Gott widerstrebte und widerstrebt, so widerstrebt nun als Strafe und Folge auch die dem Menschen unterstellte irdische Schöpfung (1. Mose 3, 15. 17-19).

 

Die harmonische Schöpfungsordnung ist endgültig und unwiderruflich gebrochen. Dies wird besonders deutlich am Brudermord des Kain (1. Mose 4, 8). Der erfolgte Sündenfall wird auch nochmals bei einem Vergleich der Zusagen Gottes an den Menschen im Paradies (1. Mose 1, 28-31) mit den Zusagen an Noah und seine Nachkommen deutlich (1. Mose 9, 1-7). Nach dem Sündenfall haben die Tiere vor dem Menschen Angst und Schrecken und dienen ihm auch neben dem Kraut zur Nahrung. Unter den Tieren gilt das Gleiche. Die ganze Schöpfung ist gefallen und erlösungsbedürftig (Röm. 8, 22).

 

Gegen die Bosheit des gefallenen Menschen setzte Gott nun die Institution einer wie auch immer genannten Obrigkeit oder Staatsgewalt, die berufen ist, die Einhaltung einer äußeren Ordnung des Zusammenlebens durchzusetzen und aufrechtzuerhalten. Außerdem gab Gott beispiel- und vorbildhaft seinem Volk Israel auch seine Gebote, die es eigentlich schon im Herzen und Gewissen hätte haben müssen (2. Mose 20, 1-17; Röm. 2, 14.15). Gott trägt auch auf, die Übertretungen seines Gesetzes nach seinen vorgegebenen Strafen (2. Mose 21; 22) äußerlich-weltlich zu richten und zu strafen (5. Mose 16, 18-20).

 

Nur in Hinblick auf die Bosheit der gefallenen Menschen hat Gott eine Obrigkeit gesetzt und seine Ordnungs- und Schutzgebote gegeben. Sie sind so zu sagen „Notverordnungen“ (vgl. Jesu Worte zur Ehescheidung Mt. 19, 7.8 und Mk. 10, 5.6). Sie dienen in der Zwischenzeit, vom Sündenfall bis zum Jüngsten Tag, der Bewahrung der Gottesfürchtigen, der notdürftigen Aufrechterhaltung der guten gottgewollten äußeren Ordnung und dem Wehren des äußerlich Bösen. Sie sind somit eine Gnade Gottes, durch die er seine Schöpfung erhält. Ohne diese Gesetze für die Zwischenzeit würde allein das Faustrecht regieren, und die Welt würde im Chaos versinken (Bsp. 1. Mose 4, 23-24). Wie die Geschichte zeigt, tritt dieses schon bei einem kurzfristigen Verfall der äußeren Ordnung, z.B. bei Revolutionen, Katastrophen, Kriegs- und Nachkriegswirren ein. Der Vollzug dieser um der Bosheit der Menschen willen gegebenen Gesetze ist die Grundlage des weltlichen Regierens und Richtens sowie Begründung und Aufgabe jeder weltlichen Staatsgewalt (Obrigkeit). Die weltliche Staatsgewalt soll der äußeren Bosheit des Menschen und dem äußeren Aufbegehren gegen die gute Ordnung Gottes die äußere weltliche Gewalt entgegensetzen (sogenanntes „Schwertamt“). Das Böse aufzuhalten und einzudämmen (2. Thess. 2, 6), das ist ihre göttliche Aufgabe. Deshalb hat ihr auch ein Christ zu gehorchen und zu dienen (Sprüche 8, 15; Röm. 13, 1-7; 1. Petr. 2, 13.14; Tit. 3, 11).

 

Das ist das Kennzeichen der gefallenen Schöpfung, dass der Frieden und die Ordnung im Volk und gegenüber anderen Völkern nur noch mit äußerer Gewalt aufrechterhalten werden kann! Wer dies bestreitet, der nimmt die Allumfassenheit und Unwiderruflichkeit des Sündenfalls nicht zur Kenntnis. Mitunter wird jedoch die Meinung vertreten, der Mensch könne aus eigener Kraft und Vernunft die Verhältnisse des Paradieses wiederherstellen. Ein Blick in die Weltgeschichte aber zeigt, dass es kein menschliches Zusammenleben im größeren Rahmen gegeben hat, ohne die Existenz einer Obrigkeit bzw. staatlichen Gewalt. Utopien einer weltlichen Anarchie, einer „klassenlosen Gesellschaft“ oder eines „Gottesstaates der Harmonie“ können nicht bestehen und wenn sie das bemerken, schreiten sie zur Erzwingung ihrer „neuen Ordnung“ und enden in der Tyrannei. Viele, die einen Himmel auf Erden errichten wollten, haben eine Hölle auf Erden geschaffen.

 

Da jede staatliche Gewalt auch von sündigen Menschen wahrgenommen wird, besteht immer die Gefahr, dass die an sich legitime staatliche Gewalt mißbraucht wird. Das ist der Fall, wenn sie ihrem göttlichen Auftrag des Schutzes nach innen und außen und der Gerechtigkeit und Fürsorge für das Volk nicht nachkommt. Wenn sie die äußere Gewalt unangemessen zu Unterdrückungen und Eroberungen, zur wirtschaftlichen Ausbeutung und Durchsetzung sonstiger egoistischer Interessen und Ziele missbraucht, dann sündigen die Träger der staatlichen Gewalt in ihrem Amt. Selbst aber in solchen Fällen ist die Obrigkeit immer noch eine gewisse Ordnungsmacht, die dem Chaos wehrt. So werden auch in ungerechten und totalitären Staaten z.B. Diebstahl und Mord bekämpft und bestraft. Der Römische Friede wurde u.a. durch Unterdrückung anderer Völker und Niederhalten von Sklavenaufständen mit militärischer Gewalt erzwungen. Er war aber auch Voraussetzung und Bedingung für die Ausbreitung des Evangeliums. Als sich der römische Staat gegen die christliche Gemeinde wandte und sie bis aufs Blut verfolgte, erkannte die Gemeinde diese Obrigkeit weiterhin grundsätzlich als von Gott gesetzt an, der deshalb in weltlichen Dingen zu gehorchen war. Der Apostel Paulus bediente sich auch zu seinem Schutze der römischen Rechtsordnung (Apg. 22, 25; 23, 10; 25, 10-12). Jesus bestätigte selbst Pilatus, dass ihm seine weltliche Gewalt von Gott gegeben ist (Joh. 19, 11).

 

Christi Werk und Botschaft waren hingegen nicht weltlich, sondern geistlich, und damit greift seine Verkündigung nicht in das weltliche Regierungsamt ein (Joh. 18, 36). Christus will kein weltlich-politischer Messias sein, der die äußere Machtverteilung und weltliche Ordnung ändert. Er weist diese Versuchung des Satans ab (Mt. 4, 8). Er will sich auch nicht zum weltlichen Brotkönig (Joh. 6, 15), zum weltlichen Richter (Lk. 12, 13.14) oder zum irdischen Friedensbringer (Joh. 14, 27; Mt. 10, 34; 24, 6) machen lassen. Jesus verbietet deshalb zunächst auch seinen Jüngern, ihn in der Öffentlichkeit als den Messias, den Christus zu verkündigen. Denn die Juden erwarteten vom Messias, dass er unmittelbar in die weltlichen Geschicke eingreift und eine politische Größe wird, um die römische Besatzung abzuschütteln. Erst später, als ganz Israel sieht und weiß, dass es Jesus nicht um eine Veränderung der politischen Verhältnisse geht, offenbart sich Jesus selbst (Mt. 26, 63.64; 27, 11).

 

Christus bittet seinen himmlischen Vater nicht, dass seine Jünger künftig nicht mehr in der gefallenen Welt mit ihren Ordnungsgesetzen und ihrer Obrigkeit leben müssen (Joh. 17, 15), und er verheißt ihnen auch nicht, dass sie keine Feinde mehr und dafür äußeren weltlichen Frieden haben werden. Sie werden wie Schafe unter die Wölfe ausgesandt (Mt. 10, 16), um ausschließlich das Evangelium zu verkündigen, so wie es ihr Herr Jesus Christus getan hat (Joh. 17, 17.18; Mk. 16, 15.16).

 

Gottes Gesetze für die Zwischenzeit, die dem äußeren weltlichen Bösen in der gefallenen Welt wehren sollen, werden von Jesu Botschaft nicht aufgehoben. Die äußere Staats- und Gesellschaftsordnung wird von Neuen Testament überhaupt nicht angesprochen. Deshalb soll jeder in dem Stand (Beruf, Ehe) bleiben, in dem er zum Glauben berufen worden ist (1. Kor. 7, 20) Dies gilt auch für die Soldaten, die für die weltliche Ordnungsmacht stehen (Lk. 3, 14; Lk. 7; Apg. 10).

 

Die Erlösung Jesu Christi, die frohe Botschaft, das Evangelium, gilt zuerst dem einzelnen Menschen und seinem Seelenheil und hat dann aber mittelbar Auswirkungen auf sein äußeres Leben. Ist der Mensch mit Gott versöhnt, so wird dies auch sein Verhältnis zu seinem Mitmenschen bestimmen. Der Kern der christlichen Botschaft ist der Glaube an die Erlösung des Menschen durch Christi Opfertod. Die Nächstenliebe ist eine Folge, eine Frucht des Glaubens (Röm. 7, 4; Kol. 1, 10). Eine grundlegende Änderung der Welt wird jedoch nicht erfolgen, da das Böse, die Sünde, bis zum letzten Tag in der Welt bleiben wird. Es ist daher verfehlt, wenn eine bestimmte Theologie die Nächstenliebe, die Ethik, verselbständigt, in das Zentrum der Verkündigung rückt und als allgemeines Weltverbesserungsprogramm propagiert.

 

Aufgrund der o.a. Schrifterkenntnis stellen die Bekenntnisschriften der Evangelisch-Lutherischen Kirche verbindlich und zeitlos fest (Art. 16 Augsburgische Konfession):

 

Von der Polizei (Staatsordnung) und der weltlichen Regierung wird gelehrt, dass alle Obrigkeit (Regierende) in der Welt, geordnetes Regierungswesen und gute Ordnung von Gott geschaffen und eingesetzt sind. Und es ist für Christen keine Sünde, wenn sie Obrigkeit (Regierende) sind oder Fürsten- und Richteramt haben, nach kaiserlichen und anderen üblichen Rechten Urteil und Recht sprechen, Übeltäter mit dem Schwert strafen, rechtmäßige Kriege führen und mitstreiten, kaufen und verkaufen, auferlegte Eide leisten, Eigentum besitzen, eine Ehe eingehen.“

 

Was verkündet uns Jesus mit der Bergpredigt?

 

Gottes Offenbarung und Wort widerspricht sich nicht in der Aussage und Verkündigung. Deshalb ist Jesu Bergpredigt im Zusammenhang mit dem bereits Ausgeführten zu verstehen. Hier kommt das reformatorische Prinzip, dass sich die Schrift selbst auslegt, zur Geltung. Keine Bibelstelle, und auch nicht die Bergpredigt, kann isoliert betrachtet und ausgelegt werden, womöglich noch in der Weise, dass eine Auslegung im krassen Widerspruch zu anderen wörtlichen Aussagen der Bibel stünde. Eine vermeintlich eigene „Theologie der Bergpredigt“ ist eine zweckmanipulierte Konstruktion.

 

Jesus will mit der Bergpredigt nicht das Gesetz des Alten Testaments, zu dem auch die Ordnung der Obrigkeit gehört, auflösen. Er hat das Gesetz nicht aufgelöst, sondern in seiner Person vollständig erfüllt (Mt. 5, 17; Joh. 8, 46). Dies geschah in einer vollkommenen und geistlichen Weise, die die buchstäbliche äußere Weise des Gesetzes zwar auch erfüllt, aber zugleich bei weitem übertrifft. Jesus verkündigt uns, dass zur Erfüllung des Gesetzes ein äußerlicher Vollzug eben nicht genügt, sondern dass die Gebote bereits im Herzen freiwillig aus Liebe zu Gott und den Menschen befolgt werden sollen. Die äußere Gerechtigkeit der Schriftgelehrten und Pharisäer reicht nicht aus (Mt. 5, 20). Ja, durch ihre Auslegung, durch ihre hinzugefügten Menschensatzungen wird der geistliche Sinn des Gesetzes verdunkelt (Mt. 15, 3-9). Nicht nur der ist ein Ehebrecher, der Ehebruch äußerlich begeht, sondern bereits der, der in seinem Herzen eine andere Frau sexuell begehrt. Nicht nur der ist ein Mörder, der einen anderen Menschen erschlägt, sondern auch schon der, der einen anderen als einen gottlosen Narren bezeichnet (Mt. 5, 21.22. 27.28).

 

Mit der Bergpredigt wird uns also gesagt, wie hoch der Anspruch des göttlichen Gesetzes ist. Die Erfüllung des Gesetzes ist die unbegrenzte Liebe zu Gott und dem Nächsten (Mt. 22, 37-40; Röm. 13, 10; 2. Kor. 3, 6). Wer das Gesetz erfüllen will, muss vollkommen sein wie der Vater im Himmel (Mt. 5, 48). Hier stellt sich die Frage der Jünger (Mt. 19, 25): „Ja, wer kann dann selig werden? Jesu Antwort, „bei den Menschen ist's unmöglich; aber bei Gott sind alle Dinge möglich“, meint, dass der Mensch nur aus Gnade selig werden kann, die ihm durch den Glauben an Jesu Kreuzestod geschenkt wird. Eine versuchte Rechtfertigung des gefallenen Menschen durch Werke im Sinne der Bergpredigt kann nicht gelingen. Und wer solches verkündet, verdeckt die frohe Botschaft von der Erlösung durch Christus allein aus Gnaden durch ein neues untaugliches Gesetz (Gal. 3-5; insbesondere 5, 1.5.6). Jesus hat kein neues Gesetz gebracht, wonach sich der Mensch das ewige Leben verdienen müsse, sondern sein Joch ist sanft (Mt. 11, 29.30; 20, 28) und er hat sein Leben zu unserer Erlösung gegeben.

 

Jesus richtet seine Bergpredigt an sein Jünger, die ihm nachfolgen (Mt. 5, 1.2), das Volk hört dabei zu. Jesu Rede ist also nicht direkt an das Volk gerichtet (Mt. 7, 28). Er zeigt auf, wie sich die, die ihm nachfolgen, zueinander verhalten sollen. Innerhalb seiner Jüngerschaft soll z.B. nicht geschworen werden. In der gefallenen Welt aber hat der Schwur weiterhin seine Bedeutung (Mt. 26, 63.64; Hebr. 6, 16).

 

Alle Welt, so wie das anwesende Volk, soll sehen, dass innerhalb der Jüngerschaft, wo Liebe in Christus herrscht, das äußerliche buchstäbliche Gesetz zu eng geworden ist und dass mit dem Kommen Christi das Reich Gottes in diese Welt eingebrochen ist (Lk. 17, 20.21). Hier muss nicht das Gesetz „Auge um Auge und Zahn um Zahn“ angewendet werden, um das Böse einzudämmen. Wenn aufgrund der Erbsünde sich das Böse in der Jüngerschaft zeigt (1. Kor. 6, 1-8; Eph. 4, 25-32; Phil. 2, 1-4), so wird aus Liebe Erduldung und Vergebung, aber auch Ermahnung geübt werden. Auch wo der Christ der Welt gegenüber steht und nicht Verantwortung für andere trägt oder gar ein staatliches Ordnungsamt innehat, soll er zum Erleiden bereit sein und keine Gewalt üben. Besonders in der Christusnachfolge, also für Belange des Glaubens, darf keine Gewalt angewendet werden (Mt. 26, 52; Phil. 1, 29.30; Joh. 18, 36b). Damit kann es keine theologische Rechtfertigung für einen Kreuzzug oder einen „heiligen Krieg“ geben.

 

Das Kommen Christi und seine nachfolgenden Jünger und Gemeinde sind Anbruch des Gottesreiches, der Gottesherrschaft bereits jetzt und hier auf Erden. Damit ist jedoch noch nicht das Böse aus der Welt verbannt und die Welt muss weiterhin noch mit dem äußerlichen Gesetz regiert werden. Im Leben in dieser gefallenen Welt kann es nicht nur Erdulden und Erleiden geben, sondern es muss äußerer Kampf gegen die äußere Bosheit sein, weil sonst das Böse triumphieren würde. Deshalb kann und soll die Welt nicht mit den Maßstäben der Bergpredigt regiert werden. Christus wollte mit der Bergpredigt nicht die äußere weltliche Ordnung für die gefallene Welt aufheben (Mt. 22, 21).

 

Für einen Christen ergibt sich nun die Spannung, dass er in der gefallenen Welt lebt, die weiter mit dem äußeren Gesetz und Gewalt regiert werden muss, und gleichzeitig in der christlichen Gemeinde, dem beginnenden Gottesreich, wo Erduldung und Vergebung gelten. Diese Trennung wird jedoch nicht so sein dürfen, dass man beim Handeln innerhalb der weltlichen Ordnung nicht weiß, dass diese nur eine Notverordnung ist, die um das Vorhandensein des Bösen in der Welt gegeben ist. Ein Christ im Dienste der Staatsgewalt wird also staatlich-weltliche Gewalt nur so weit treiben, wie es die Eindämmung des Bösen gebietet. Er wird sich sein erforderliches staatliches Handeln nicht von Rache oder Haß diktieren lassen, sondern wird auch im Feind seinen Mitmenschen, ja, ein Ebenbild Gottes sehen und ihn aus Liebe im Rahmen der weltlichen Ordnung weitmöglichst schonen (Röm. 12, 14-21). Dies findet seinen Niederschlag in einer Politik der Kriegsverhinderung (Mt. 5, 9) und im Krieg in der Schonung der Zivilbevölkerung, der Verwundeten und Gefangenen (Mt. 5, 7) oder bei der Justiz im Aussprechen von Begnadigungen. Ein Christ im Dienste der Staatsgewalt wird weltliche Gewalt nicht vorschnell oder unangemessen hart oder allzu selbstverständlich und selbstherrlich anwenden. Er wird die weltliche Gewalt so anwenden, wie ein Arzt mit einem Skalpell zur Operation schreitet. Hier leuchtet die Liebe auch in der weltlichen Ordnung durch! Feindesliebe in der Welt muss also nicht mit Verzicht auf jede staatliche Gewaltanwendung gleichgesetzt werden.

 

Ein Christ wird im weltlichen Handeln nie etwas Endgültiges oder Absolutes sehen. Er wird wissen, dass er nie durch rechtes Handeln in dieser Welt vor Gott gerecht werden kann, sondern dass er immer der Vergebung und Erlösung durch Jesus Christus bedarf. Deshalb soll er nicht Angst vor weltlichen Entscheidungen haben. Er soll nach bestem Wissen und Gewissen entscheiden und handeln. Er weiß, dass er in seinem weltlichen Leben auch fehlen wird, aber dass ihm durch Jesus Christus die Vergebung seiner Sünden zugesprochen wird.

 

Ein Christ wird sich weder von der Sünde beherrschen lassen (Röm. 6, 12 ff.), noch vor der Macht und Bedrohung der Sünde verzagen (Röm.5, 20b; 8, 35; 2.Kor. 4, 8; 2.Tim. 1, 7; 2.Petr. 1, 10; 1.Joh. 4,17). Wir haben die Zusage unseres Herrn Jesus Christus, dass bei ihm des Menschen Seele Ruhe findet (Mt. 11, 28.29; Joh. 16, 33; Röm. 5, 1). In demütiger Haltung werden wir entscheidend der Verheißung und der Macht des Gebets vertrauen, ohne dabei auf ein Handeln zu verzichten.

 

Von Gottes „zwei Reichen“ oder „zwei Regimenten

(= Regierweisen)“

 

So wie Gott in der Bibel sein Wort einerseits als Gesetz fordernd und gerecht an uns richtet, das wir aber aufgrund unseres sündigen Wesens nicht zu erfüllen vermögen und andererseits als frohe Botschaft (Evangelium) von der Vergebung unserer Sünden durch den Glauben an Jesus Christus, so regiert Gott auch die Welt auf zweifache Weise.

 

Zum einen herrscht Gott durch die von ihm eingesetzten bzw. geduldeten weltlichen Regierungen und Autoritäten und setzt damit eine äußerliche staatliche Ordnung.

 

Zum anderen herrscht Gott in seinem Reich der Christusgläubigen in der Weise, dass er hier dem Menschen Vergebung der Sünden und ewiges Leben zuspricht.

 

Im weltlichen Reich zu seiner Linken sind die Regiermittel äußerliche Gesetze und ggf. Zwang bis hin zur Waffengewalt. Im göttlichen Reich zu seiner Rechten aber sind die Mittel allein die Gnadenmittel – das Gotteswort und die Sakramente.

 

Dies ist nicht menschliche Lehre, sondern Christus selbst trifft diese Unterscheidung (Joh. 18, 36). Da die Regiermittel so unterschiedlich sind, dürfen die Reiche oder Regimente (= Regierweisen) nicht miteinander vermischt werden.

 

Mit Liebe, Gnade und Vergebung kann die gefallene Welt nicht regiert, der äußeren Bosheit nicht gewehrt werden. Würde dagegen Gesetz und Zwang bis hin zur Gewalt in die Kirche einziehen, so würden damit Gnade, Vergebung und Liebe verraten, verdunkelt und unglaubwürdig. Dies ist leider in der mittelalterlichen Kirche häufig geschehen. In Nachfolge ihres Herrn darf die Kirche auch nicht das weltliche Ordnungs- und Regieramt übernehmen, wie die mittelalterlichen Fürstbischöfe, und sich auch nicht der weltlichen Regierung als Handlungsgehilfe bedienen.

 

Andererseits hat die Kirche Eingriffe des Staates in ihr Gnaden- und Verkündigungsamt unter Inkaufnahme von Verfolgung und Leiden zu verwehren (Apg. 5, 29). Sie folgt in allen Dingen ihrem Herrn Jesus Christus nach (Joh. 20, 21-23).

 

Nach dem 2. Weltkrieg und bis weit in die 1980'iger Jahre wurde die Zwei-Reiche-Lehre der Evangelisch-lutherischen Kirche wegen „politischer Enthaltsamkeit“, was Diktaturen und Tyrannen sehr entgegen käme, hart kritisiert und diffamiert. Erst durch die Erfahrungen mit dem Islam, der eine Trennung des religiösen vom politisch-weltlichen Bereich ablehnt, findet die Zwei-Reiche-Lehre wieder Zuspruch. Ja, man fordert vom Islam ihre Anerkennung, nämlich den Verzicht auf das Streben nach einem islamischen Gottesstaat. Doch ist dies dem Islam fremd, da Mohammed bewusst religiöser und zugleich politisch-militärischer Führer war.

 

Hinweis auf das nachstehende PDF-Doc mit der Darstellung der zwei Reiche / Regierungsweisen Gottes

 

Detlef Löhde

Christ und Waffendienst.pdf
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Zwei-Reiche, zwei Regimente Gottes
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