Mainstream der Gesellschaft ist zur Religion geworden - zur "Zivilreligion"

Die Gesellschaft1 will nicht mehr nach Gottes Willen fragen und leben, sondern will sich in jeder Beziehung selbst bestimmen, sich selbst ethisch-moralische Gesetze und eine eigene Weltsicht geben. Sie will autonom sein, will „Sich-selbst-Gott-sein“. Das war schon die Ursünde der ersten Menschen (1. Mose 3, 5), weshalb sie Gott aus seiner Nähe, aus dem Paradies, vertrieb.

 

Weltsicht und Anschauungen der Gesellschaft werden von Medien, Interessengruppen und Politik initiiert und vermittelt. Das geschieht mit einem überhöhten moralischen Anspruch, womit andere Überzeugungen als unmoralisch, irrational, gestrig und als für die Gesellschaft schädlich und gefährlich eingestuft werden. Nur wer dem gesellschaftlichen Mainstream zustimmt, gehört zu den Moralischen, zu den "Guten". Rationalität, Sachdiskussion, Nüchternheit und Gelassenheit bleiben weitgehend auf der Strecke.

 

Der Ausschließlichkeitsanspruch und die offensiv erzieherische Vermittlung der „Gesellschaftswerte“ lassen sie zur „Religion der Gesellschaft“ werden. Der ev. Theologe Paul Tillich hat dafür den Begriff der säkularen „Quasi-Religion“ geprägt. In den USA hat man dafür den Begriff der "Zivil-Religion" geprägt. Sie steht für Gefühlshaltungen und Bewegungen, die bestimmte idealistische innerweltliche Ziele propagieren. Das sind heute: eine nicht näher bestimmte soziale Gerechtigkeit, Gleichmachen der Geschlechter, schrankenlose Sexualität und absolute Selbstbestimmung, ideales Staatswesen, multikulturelle Konzeption, grenzenlose Welt, "Programme zur Weltrettung"... Das wird dann mit einem offensiv emotionalen Anspruch der moralischen Ausschließlichkeit vertreten, der einem religiösen Wahrheits- und Missionsanspruch entspricht. In dem Anspruch der Ausschließlichkeit und Irrtumslosigkeit besteht das Problem.

 

In diesem Sinne übernimmt die Gesellschaft mit der öffentlichen Meinung die Funktion von Religion. Sie will die Gesinnung der Menschen bestimmen, will auf Herz und Seele zugreifen. Das aber ist eine angemaßte Grenzüberschreitung in Richtung Weltanschauungsstaat bis hin zum totalitären Staat. Jesus spricht (Mt. 22, 21): „Gebt dem Kaiser, was des Kaisers ist, und Gott, was Gottes ist!“ Und Petrus sagt (Apg. 5, 29): „Man muss Gott mehr gehorchen als den Menschen.“

 

Seit der konstantinischen Wende im Jahre 313 n. Chr. hatten sich die Reiche und Staaten Europas an den Normen und Werten der Bibel orientiert und danach weitgehend auch ihr staatliches Recht ausgerichtet. Diese Ausrichtung ließ zurecht vom „christlichen Abendland“2 sprechen. Mit der Aufklärung und Säkularisierung im 19. Jahrhundert hat man dann zwar zurecht weltliche Macht und Einfluss der Kirche im staatlichen Bereich zurückgewiesen, aber die Orientierung des staatlichen Rechts an den Normen und Werten der Bibel blieb weitgehend erhalten. Man blieb christliches Abendland.

 

Erst ab dem 20. Jahrhundert löste man sich mehr und mehr von den christlichen Werten und Geboten. In extremster und brutalster Weise geschah das durch den Kommunismus und Nationalsozialismus.Nach deren Überwindung wurde erkannt, dass Staat und Verfassung doch einer ethischen Rückbindung bedürfen. Der namhafte Rechtsphilosoph und Verfassungsrechtler Böckenförde formulierte:

"Der freiheitliche, säkularisierte Staat lebt von Voraussetzungen, die er selbst nicht garantieren kann. Als freiheitlicher Staat kann er nur bestehen, wenn sich die Freiheit, die er seinen Bürgern gewährt, von innen her, aus der moralischen Substanz des Einzelnen und der Homogenität der Gesellschaft reguliert."

Aber woher kommt die moralische Substanz und gesellschaftliche Homogenität?   

 

In einem Prozess der Eigendynamik hat sich in den letzten Jahrzehnten eine humanistisch und libertär gebärdende säkulare Quasi-Religion herausgebildet. An deren Normen orientiert sich jetzt mehr und mehr Gesellschaft und Recht. Der Gottesbezug in der Präambel des Grundgesetzes ist inhalts- und wirkungslos geworden. Da kommt es naturgemäß zu Spannungen zwischen staatlichen und christlichen Werten und Geboten, zwischen Verfassung, Rechtsprechung, öffentlicher Meinung und der Bibel.

 

 

Die ungeschriebenen Gebote der säkularen „Quasi-Religion“

 

  • Die Gesellschaft steht als Wert und Maßstab über allem, auch über der Kirche und dem einzelnen Christen. Die Verfassung und das Verfassungsgericht setzen zeitgemäß alle ethischen Maßstäbe und nicht die Bibel.

  • Die Anschauungen der Gesellschaft bilden das „Dach einer Überreligion“. Christen und christliche Verkündigung haben sich auch unter dieses Dach zu begeben.3 . Kirchliche Verkündigung und persönlicher Glaube haben sich den Anschauungen der Gesellschaft anzupassen.

  • Was wahr oder unwahr, was ethisch richtig oder falsch, was gut oder böse ist, entscheidet allein die Gesellschaft. Da die Gesellschaft sich ständig wandelt, müssen auch ihre ethischen Werte ständig angepasst werden. Damit ist in Frage gestellt, ob es unveränderbare Wahrheit und unveränderbare Werte und Gebote gibt.

  • Schließe dich immer den Wertvorstellungen der Gesellschaft an – dem „Mainstream“. Missbrauche nicht die staatlich zugesicherte Meinungs- und Demonstrationsfreiheit, Liberalität und Toleranz für von der Gesellschaft abweichende Anschauungen.

  • Kritisiere nicht die Gesellschaft mit ihren veränderten und wandelbaren ethischen Wertvorstellungen. Unterlasse insbesondere Nachfragen und Kritik an den Abtreibungen, der Homosexualität, dem Feminismus, dem Gender-Mainstreaming, der sexuellen Früherziehung, dem Islam, der multikulturellen Konzeption, dem Weltbürgertum und den diversen politischen und gesellschaftlichen Programmen zur Weltrettung.

  • Distanziere dich immer wieder öffentlich von den der Gesellschaft abweichenden Anschauungen. Meide Kontakte mit Personen und Medien, die abweichende Anschauungen vertreten.

  • Gebrauche nur den Wortschatz, den dir die Gesellschaft in Bezug auf ihre Anschauungen und Werte vorgibt. Meide alle Worte und Ausdrücke, die von der Gesellschaft als ausgrenzend, diskriminierend und politisch inkorrekt eingestuft sind.

 

Nur wer sich an diese ungeschriebenen Gebote hält, der bleibt mitten in der Gesellschaft. Und nur der kann im Journalismus, der Politik, der Staatsverwaltung und der Unterhaltungsindustrie Karriere machen.

 

Wer gegen die ungeschriebenen Gebote verstößt, den trifft der Bannstrahl der Gesellschaft. Sehr aufmerksam werden abweichende Meinungen registriert. Der Abweichler wird zunächst vielleicht nur ignoriert, dann aber lächerlich gemacht, verbal verunglimpft, ausgegrenzt und diskriminiert. Persönliches Ansehen und gesellschaftliche Stellung nehmen schweren Schaden, was zerstörerische Wirkung für berufliche und politische Karriere und das persönliche Umfeld nach sich zieht.

 

Die großen Volkskirchen, zumindest ihre Leitungsebenen, haben sich leider weitgehend den ungeschriebenen Geboten angepasst: Positive Bewertung der Homosexualität, des Feminismus und des Gender-Mainstreaming, verhaltenes Schweigen hinsichtlich der Abtreibungen, Verzicht auf inhaltliche Auseinandersetzung mit dem Islam und auf Mission unter Muslimen, interreligiöse Zusammenarbeit, unkritische Unterstützung politisch-weltlicher Rettungsprogramme zu Lasten der Verkündigung des Evangeliums von der Erlösung Jesu Christi.

 

Verlorengegangen sind geistliche Vollmacht, Kraft, Mut und Treue, ein christliches "Gegenmodell" zu verkünden und zu leben, wie es unter Verfolgung die ersten christlichen Gemeinden im Römischen Reich getan haben. Wie der Apostel Paulus mahnt (Röm. 12, 2): „Stellt euch nicht dieser Welt gleich, sondern ändert euch durch Erneuerung eures Sinnes, damit ihr prüfen könnt, was Gottes Wille ist, nämlich das Gute und Wohlgefällige und Vollkommene.“ Und der Maßstab ist allein die Bibel, wie Paulus schreibt (2. Tim. 3, 16.17): „Alle Schrift (Bibel), von Gott eingegeben, ist nütze zu Lehre, zur Zurechtweisung, zur Besserung, zur Erziehung in Gerechtigkeit, dass der Mensch vollkommen sei, zu allem guten Werk geschickt.“

 

 

D. Löhde, Jan. 2019

 

1

Der soziologische Begriff der „Gesellschaft“ bezeichnet eine zusammengefasste und abgegrenzte Anzahl von Personen, die unterschiedliche Merkmale aufweisen (Herkunft, Alter, sozialer Stand, politische Überzeugung, Religion...) und in einem sozialen Gefüge (Staat) als Handelnde (Akteure) verknüpft sind, zusammenleben und zusammenwirken.

 

2

Obwohl sich inzwischen auch leitende Kirchenvertreter, wie Kardinal Marx, von dem Begriff distanzieren, weil er ausgrenzend wirke. Weiter wird eingewandt, dass doch zu keinem Zeitpunkt Machthaber und Bevölkerung in Europa durch und durch christlich geglaubt und gehandelt hätten. Das allerdings liegt im Wesen des in Sünde gefallenen Menschen und es widerlegt auch nicht die geschichtliche christliche Prägung Europas.

 

3.

Das hatte auch schon das Römische Reich von den Christen verlangt, was sie aber unter Verfolgung verweigerten.

 

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