Martin Luthers Schriften über die Juden

Jetzt, zum 500. Jubiläum der Reformation, werden wir immer wieder mit den massiven negativen Äußerungen Luthers über die Juden konfrontiert. Das geschieht:

Von säkularer und kirchenkritischer Seite, um die Person Luthers und auch seine Theologie, die Reformation und die sich nach ihm – gegen seinen Willen - benannte evangelisch-lutherische Kirche moralisch in Frage zu stellen und herabzusetzen.

Von den ev.-luth. Kirchen, die sich verständlicherweise und berechtigterweise von den Äußerungen Luthers distanzieren, besonders in Hinblick auf die deutsche Geschichte des furchtbaren Holocaust.

 

Aufgrund der sich ständig wiederholenden Vorhalte und Fragen ist die Distanzierung zu einem unschönen „Muß“ anlässlich fast jeden Luthervortrags und jedes Reformationsgedenkens geworden. Was berechtigt und notwendig ist, führt aber andererseits leicht zu dem falschen Eindruck, als wären diese Äußerungen Luthers kennzeichnend für seine ganze Person und seine gesamte Theologie und die Reformation. So werden Luthers Äußerungen über die Juden leicht zu einem ablenkenden Schwerpunkt. Seine im Wesentlichen drei besonders negativen „Judenschriften“ und seine letzte Predigt sind nur ein verschwindend geringer Anteil seines gesamten Werkes. Sachlich festzustellen ist, dass Luther ein Gegner der jüdisch-rabbinischen Schriftauslegung und Theologie war - er war theologischer „Antijudaist“ und kein rassistischer Antisemit.

 

Wie war nun das Verhältnis Luthers zu den Juden? Weshalb machte er solche unsäglichen Äußerungen? Sie sollen hier nicht gerechtfertigt oder entschuldigt werden. Aber auch vor Gericht werden im Rahmen der Zumessung der persönlichen Schuld die Absichten und Motive des Angeklagten als subjektive Tatbestandsmerkmale und die objektiven Begleit-umständen – das ist hier der geschichtliche Kontext – berücksichtigt. So auch bei Luther vorzugehen entspricht dem Recht, ist historisch seriös und fair gegenüber der Person – Luther aus seiner Zeit und seiner persönlichen Situation und Denkweise zu verstehen.

 

Luther hat 1523, also am Anfang der Reformation, eine Schrift herausgegeben mit dem Titel „Daß Jesus Christus ein geborener Jude sei“ und hat sich darin für eine menschlich nachbar-schaftliche Behandlung eingesetzt und hat sie auch gegen verleumderische Verdächtigungen der röm. Amtskirche und die gängigen Vorurteile im Volk in Schutz genommen. Er war der Auffassung, dass ihr Widerstand gegen das Evangelium Jesu Christi maßgeblich aus ihrer schlechten Behandlung herrühre. Aus den meisten west-europäischen Fürstentümern und Ländern waren Juden bereits vertrieben worden und der große Humanist Erasmus von Rotterdam hatte das als Wohltat gepriesen.

 

Die Entwicklung

Luther hatte etliche Kontakte zu Rabbinern und hörte auch bei der Übersetzung des AT auf ihren philologischen Rat. Er hatte die Erwartung, dass sich die Juden bei menschlicher Behandlung und bei exegetischer Betrachtung des AT und Kenntnisnahme des NT dem Evangelium zuwenden würden.

 

Jüdischerseits wurde Luthers Haltung positiv wahrgenommen. Als er 1536 drei Rabbiner zu Gast hatte, gab er ihnen einen persönlichen Geleitbrief mit, dass man ihnen „um Christi willen“ freien Durchzug durch die Fürstentümer gewähren sollte. Sie haben davon aber keinen Gebrauch gemacht, weil darin stand „um Christi willen“.

 

Noch 1537 wandte sich der quasi „Sprecher des deutschen Judentums“, Josel von Rosenheim, vertrauensvoll an Luther und bat ihn, sich bei seinem Kurfürsten Johann Friedrich für die Juden einzusetzen und ihm eine persönliche Audienz zu verschaffen. Das lehnte Luther in freundlicher Weise mit der Begründung ab, dass seine bisherigen positiven Äußerungen über die Juden von ihnen als Bestätigung und zur Werbung für ihren jüdischen Glauben missbraucht worden seien. Luthers Gegner verdächtigten ihn, dass er mit den Juden auch theologisch sympathisiere.

 

Im Laufe der Zeit hatte Luther aber eine unüberwindbare Verhärtung der Juden gegen das Evangelium wahrgenommen. In seinen Auslegungen und Predigten und in seinen theologischen Diskussionen mit Juden zum AT zeigte sich immer mehr die konträre Theologie. Er hatte sich mit der Literatur der Rabbiner eingehend befasst. Die messianischen Weisagungen, besonders Jes. 53 als Prophetie auf Jesus Christus, akzeptierten sie nicht. Sie bestritten, dass die Christen zum Volk Gottes gehören und verkündigten das Heil durch des Gesetzes Werke. Das sah Luther als einen Angriff auf seine Theologie, auf die Reformation und auf seinen persönlichen Glauben.

 

Dann hatte Luther auch Kenntnis des Talmud erlangt, in dem Jesus und Maria in übelster Weise verleumdet, beleidigt und gelästert werden. (Dass das auch objektiv der Fall ist, bestätigt der weltweit anerkannte Judaist Prof. Peter Schäfer in seinem Buch „Jesus im Talmud“, Mohr Siebeck Verlag, 2007). Außerdem wird Luther auch die jüdische, in ganz Europa verbreitete polemisch satirische Schrift „Toledot Jeschu“ (Geschichte Jesu) bekannt gewesen sein.

1539 las Luther das antijüdische Buch „Der ganze Jüdische Glaube...“, 1530 verfasst von dem zum christlichen Glauben konvertierten Juden Antonius Margaritha. Er war Hebräisch-Lehrer und galt als Experte und Berater von Fürsten zum Umgang mit den Juden. Luther übernahm einige Vorwürfe und Vorurteile aus diesem Buch. Das Buch war bis Anfang des 18. Jahrhunderts die einzige Quelle, aus der man sich in Europa Kenntnis vom praktizierten Judentum aneignen konnte.

Dann hörte Luther Berichte, dass in Mähren sich Gruppen von Christen gesammelt hätten, die nach jüdischem Vorbild anstelle des Sonntags den Sonnabend zum Gottesdiensttag gewählt und sogar die Beschneidung gefordert hätten. Wahrscheinlich waren aber die Berichte über Inhalt und Umfang der Bewegung übertrieben.

 

Luthers Motiv für seinen Ratschlag an die Obrigkeit

Luther sah in all dem die Gefahr der Verführung der Christen zum Judentum. Deshalb schrieb er 1542/43 die ausführliche Schrift „Von den Juden und ihren Lügen“ (W2 XX, S. 1861 ff.).

Luther: „Ich habe geschrieben, weil sie die Christen an sich locken“

 

In den ersten zwei Dritteln der Schrift setzt er sich intensiv mit dem falschen Verständnis und der falschen Auslegung des AT auseinander. Dann kommt er zur Vermahnung der Juden:

 

Erstlich schelten sie unseren Herrn Jesus Christus einen Zauberer und Teufelszeug... Danach hießen sie ihn ein Hurenkind und seine Mutter Maria eine Hure. Weiter lügen sie und lästern ihn und seine Mutter, dass sie habe empfangen zur Unzeit“ (gezeugt bei der Monatsblutung).

 

 

Luthers unsäglicher Rat an die Obrigkeit:

Erstens Synagogen oder Schulen anstecken, damit Gott sehe, dass wir Christen seien und öffentliches Lügen, Fluchen und Lästern seines Sohnes und seiner Christen wissentlich nicht geduldet und eingewilligt haben.

Zum andern, dass man auch ihre Häuser desgleichen zerbreche und zerstöre (und sie in öffentlichen Häusern wohnen lasse). Denn sie treiben dasselbe darinnen, dass sie in ihren Schulen treiben.

Zum dritten, dass man ihnen nehme alle Betbüchlein und Talmudisten.

Zum vierten, dass man ihren Rabbinern bei Leib und Leben verbiete hinfort zu lehren...,

fünftens, dass man ihnen auf den Straßen kein (Sicherheits-) Geleit mehr gebe,

sechstens, dass man ihnen den Wucher verbiete...“

 

Luther fasst zusammen:

„Wenn nun Gott jetzt oder am Jüngsten Tage mit uns Christen also wird reden: Hörst du es, du bist ein Christ und hast gewusst, dass die Juden meinen Sohn und mich öffentlich gelästert und geflucht haben, du aber hast ihnen Raum und Platz dazu gegeben, sie auch geschützt und geschirmt, damit sie ungehindert und ungestraft tun möchten in deinem Land, Stadt und Haus: sage mir, was wollen wir hier antworten?“

 

Luther wollte, dass die Juden ihre Lehre nicht weiter verbreiten können und ihre Lästerungen nicht geduldet werden. An Leib und Leben sollte man sie nicht antasten.

 

In seiner letzten Predigt in Eisleben am 14.2.1546, vier Tage vor seinem Tod, über die Juden (W2, Bd. XII, S.1265):

„Nun wollen wir christlich mit ihnen handeln, und bieten ihnen den christlichen Glauben an, dass sie den Messias wollen annehmen, der doch ihr Vetter ist und von ihrem Fleisch und Blut geboren und rechter Abrahams Same... Sie hören nicht auf, unseren Herrn Christus zu lästern, heißen die Jungfrau Maria eine Hure, Christus ein Hurenkind. Den soll ich bei mir leiden, der meinen Herrn Christus schändet, lästert und verflucht, so mache ich mich fremder Sünden teilhaftig. Darum sollt ihr Herren sie nicht leiden, sondern wegtreiben.“

 

Wie ist Luthers Rat an die Obrigkeit vom kirchengeschichtlichen Kontext zu bewerten?

 

Luther ging wie die Papstkirche und der Kaiser davon aus, dass der christliche Landesherr nicht nur für das leibliche Wohl und Leben seiner Untertanen, sondern auch für deren geistliches und seelisches Wohl und Leben verantwortlich sei und entsprechend zu handeln habe. Deshalb ging der Kaiser ja auch gegen Luther vor. Der Landesherr habe auch die Religion seiner Untertanen zu bestimmen.

 

Um nach den reformatorischen Wirren und dem Schmalkaldischen Krieg endlich Religionsfrieden zu erreichen, wurde 1555 auf dem Reichstag zu Augsburg entsprechend zugunsten der Reformation beschlossen, dass den Territorial-fürsten vom Kaiser das Recht einge-räumt wurde, die Religion ihrer Untertanen zu bestimmen. Das war die Berechtigung, dass im Deutschen Reich die Fürsten in ihrem Territorium die Reformation einführen und beibehalten durften und „Altgläubige“, wenn sie wollten, ausreisen konnten. Die röm.-kath. Fürsten und Fürst-bischöfe „rekatholisierten“ oder vertrieben ihre evangelischen Untertanen.

 

Da die Juden keine Landeskinder eines Territorialfürsten waren, betrachtete sie der Kaiser als ihm gehörig. 1544 hatte Kaiser Karl V. den Juden gegen Zahlung von 3000 Goldgulden, Privilegien (Erlaubnis zum Geldverleih gegen Zinsen und Freiheit ihrer Religion) und ein Schutzversprechen gegeben. Sein Schutz-versprechen wurde aber von den Territorialfürsten vielfach ignoriert.

 

Das Recht, dass der Landesherr die Religion bestimmt, galt formal bis zum Westfälischen Frieden 1648. Erst mit der Aufklärung löste sich der Grundsatz sukzessive auf, zuletzt mit dem endgültigen Abschaffen des Staatskirchentums, in Deutschland 1918, in den skandinavischen Ländern erst seit einigen Jahrzehnten, England hat heute noch die Anglikanische Kirche als Staatskirche formell mit der Königin an der Spitze. Die Römisch-Kath. Kirche beschloss erst 1968 beim 2. Vatikan. Konzil den Grundsatz der persönlichen Wahlfreiheit der Religion. Bis dahin erwartete Rom, dass eine röm.-kath. Regierung dem Volk die Röm.-kath. Kirche als Staatsreligion / Staatskirche vorschrieb.

 

Theologische Bewertung

Die Theokratie des AT (die Verbindung von weltlicher und geistlicher Macht, wie bei Mose, Josua, den Richtern und den Königen Israels) war spätestens mit dem Kommen Jesu Christi beendet. Die Vermischung und Verbindung von Staat und Kirche widerspricht der im NT begründeten sogenannten „Zwei-Reiche-Lehre“, die Luther selbst erkannt und vertreten hatte. Luther stellt in seiner Schrift von 1523 „Von weltlicher Obrigkeit, wie weit man ihr Gehorsam schuldig sei“ (W2, Bd. X, S. 374 ff.) fest, dass die Obrigkeit nur für den äußeren Schutz von Leib und Leben zuständig sei. Diese Feststellung Luthers steht in Spannung zu seiner Sicht, dass der Landesherr auch für das geistliche Wohl seiner Untertanen verantwortlich sei und er deshalb die Juden vertreiben solle.

 

Für die Sache des Glaubens, für Jesus, darf keine Form von Gewalt und Zwang, weder unmittelbar noch mittelbar, vom Staat oder der Kirche angewendet werden. Das Wort ist einziges Mittel im Reich Christi, in der Kirche. Luther hat das zu anderer Gelegenheit immer wieder betont. So schrieb er auch, dass der Abwehrkampf gegen die Türken nicht religiös begründet werden dürfe, er dürfe kein Glaubenskrieg sein, sondern rein weltliche Abwehr und Notwehr.

 

Jesus wendet sich gegen jede Gewalt für ihn und sein Evangelium

Als die Jünger mit ihrer Predigt und Botschaft Jesu abgewiesen wurden, sagten sie zu Jesus: „Herr, willst du, so sagen wir dass Feuer vom Himmel falle und sie verzehre. Jesus aber wandte sich um und wies sie zurecht“ (Lk. 9, 51 f.).

 

Als Petrus mit dem Schwert Jesus vor der Verhaftung schützen wollte, spricht Jesus (Mt. 26, 52): „Stecke dein Schwert an seinen Ort! Denn wer das Schwert nimmt, der soll durchs Schwert umkommen. Oder meinst du, ich könnte meinen Vater nicht bitten, dass er mir sogleich mehr als 12 Legionen Engel schickte?“

 

Zu Pilatus spricht Jesus (Joh. 18, 36 f.): „Mein Reich ist nicht von dieser Welt. Wäre mein Reich von dieser Welt, meine Diener würden darum kämpfen, dass ich den Juden nicht überantwortet würde.“

 

Jesus hat es erlitten, dass man ihn verleumdet, beleidigt, ja, angespuckt, geschlagen und gekreuzigt hat, ohne dass er zu seiner göttlichen Macht gegriffen hat. Er verbot auch seinen Jüngern, ihn mit äußerer Gewalt zu verteidigen und auch der Auferstandene will es bis heute nicht.

 

 

Zum Thema ergänzend verweise ich auf

Prof. Dorothea Wendebourg, Humboldt-Universität Berlin:

  • Zeitschrift „Evangelische Verantwortung, 9/10 aus 2013“:

„Martin Luther und die Juden“ - Vortrag auf einer Tagung der EKD für Abgeordnete des DBT und des Europaparlaments in Eisleben am 7. Juni 2013, http://www.eak-cducsu.de/evangelische-verantwortung?page=2

  • Zeitschrift „Zeitzeichen, Juli 2016“:

„Angst vor religiösen Gegensätzen – Die EKD zieht falsche Schlüsse aus Martin Luthers Antijudaismus“

http://www.zeitzeichen.net/religion-kirche/luther-und-die-juden/

 

 

Detlef Löhde, September 2017

 

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