Sunniten, Schiiten, Salafisten, Aleviten, Sufis u.a.

Die Vielfalt islamischer "Konfessionen", theologischer Schulen und Gruppen

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Gern wird der Islam von seinen Anhängern wie auch von seinen glühenden Gegnern als eine entschlossene kraftvolle Einheit dargestellt. Dem gegenüber stellt man vom Christentum fest, dass es ihm aufgrund seiner Zersplitterung in verschiedene Konfessionen und Kirchen an Glaubwürdigkeit und Stärke mangele. Der Islam habe nur ein einfaches und kurzes Glaubensbekenntnis („Schahada“), sechs kurze Glaubensartikel und fünf religiöse Grundpflichten. Das ist jedoch eine verzerrte, unzutreffende Gegenüberstellung. Das Genannte bildet nur die allgemein gültige Basis des Islam, auf der recht unterschiedliche Glaubensüberzeugungen aufbauen. Das verhält sich ganz entsprechend dem Christentum, das auch eine gemeinsame Basis hat, worauf dann die verschiedenen Kirchen und Konfessionen aufbauen. Wenn sich die verschiedenen Glaubensrichtungen und „Rechtssschulen“, Gruppen und Strömungen des Islam auch ausdrücklich nicht als verschiedene „Konfessionen" (Bekenntnisgemeinschaften) bezeichnen, so sind sie es von ihrem Wesen her dennoch.

 

Sunniten und Schiiten - Wer ist rechter Nachfolger des Mohammed?

Zur ersten bedeutenden Spaltung kam es bei der Frage, wer rechtmäßiger Kalif, also Nachfolger und Statthalter Mohammeds werden könne. Bei den ersten vier Kalifen wurde die Frage noch nicht grundsätzlich behandelt. Sie waren mit den erfolgreichen Eroberungen in Nordafrika, Ägypten, Palästina, Syrien, im Irak und Iran beschäftigt. Ihre Zeit gilt als das "goldene Zeitalter" der vier rechtgeleiteten Kalifen.

 

Die vier gewählten Kalifen waren:

632 – 634 Abu Bakr, der Kampfgefährte und ein Schwiegervater Mohammeds;

634 – 644 Umar, Stammesgenosse und Kampfgefährte Mohammeds, wurde bei internen Machtkämpfen ermordet;

 

644 – 656 Uthman, Kampfgefährte und ein Schwiegersohn Mohammeds aus dem altmekkanischen Stamm der Umayyaden; Uthman redigierte den Koran, aber er betrieb eine Vettern-wirtschaft, die ihm Feindschaften eintrug. Unter dem Vorwurf vom Islam abgewichen zu sein, wurde er ermordet. Nun strebten seine Umayyaden-Verwandten, die in Damaskus schon Statthalter von Syrien waren, nach der Kalifenmacht. 

 

656 – 661 Ali ibn Ali Talib, er hatte sich als Vetter Mohammeds und Ehemann der Fatima, der Lieblingstochter Mohammeds, gegen die Machtansprüche der Umayyaden erhoben und wurde gegen Widerstände zum Kalifen gewählt. Bei den wiederum folgenden Machtkämpfen wurde er 661 n. Chr. ermordet.

 

Nach dem Mord an Ali kam es zu der Frage, wer denn grundsätzlich Kalif, Nachfolger und Statthalter des Mohammed werden könne. Die Mehrheit der "Sunniten" trat für ein Wahlkalifat ein, die Minderheitspartei der "Schiiten" für ein Erbfolge-Kalifat. Nur ein Blutsverwandter könne Mohammeds Nachfolger werden. Da Mohammed keine männlichen Nachkommen hatte, kam für die Erbfolge und Nachfolge nur die Linie des 4. Kalifen Ali in Betracht. Deshalb bezeichnen sich die Schiiten als die „Partei Alis“ („Schiat Ali“).

 

Nach der Ermordung des Ali wurde sein ältester Sohn Hasan in Erbfolge 5. Kalif. Doch schon nach ein paar Monaten ließ er sich von sunnitischer Seite zum Verzicht drängen. Jetzt wurde von den Schiiten Alis zweiter Sohn Husain nominiert. Es kam zu blutigen Auseinandersetzungen. Die Entscheidungsschlacht von Kerbela im Jahr 680 ging für die Schiiten verloren. Bei der Schlacht ist Husain umgekommen. Die Partei des Ali war machtpolitisch endgültig unterlegen.

Die sunnitischen Umayyaden ergriffen endgültig die Macht und begründeten eine erbliche Kalifen-Dynastie in Damaskus. So endete, was als sunnitischer Kampf für ein Wahl-Kalifat begonnen hatte. Und nach ca. hundert Jahren wurde die Ummayden-Dynastie von der Abbassiden-Dynastie abgelöst.

 

Die Nachfolgefrage Mohammeds und die Führerschaft des Islam wurden also immer wieder durch Mord und Bruderkrieg entschieden. Dennoch wird die Periode der ersten vier Kalifen bis heute als "goldenes Zeitalter" verherrlicht. Die Morde und Kriege sind sicherlich auch dadurch verursacht, dass die Führerschaft des Islam nicht nur eine geistliche, sondern zugleich und vor allem auch eine weltlich-politische war. Man sieht, von welchem Un-Geist die Religion des Islam bestimmt wird.

 

Unter den Aposteln und auch in der frühen Kirche hat es keinen "Mord und Totschlag" hinsichtlich einer Führerschaft gegeben. Jesus spricht zu seinen Jüngern: "Will mir jemand nachfolgen, der verleugne sich selbst und nehme sein Kreuz auf sich und folge mir (Mt. 16, 24)" und "Wer groß sein will unter euch, der sei euer Diener; und wer der Erste sein will unter euch, sei euer Knecht (Mt. 20, 26)".

 

Lange Zeit versuchten die Sunniten ergebnislos den Schiiten ihren Kalifen aufzuzwingen. Dagegen legten die Schiiten dem ermordeten Ali und seinem in Kerbela gefallenen Sohn Husain immer größere religiöse Bedeutung und Verehrung bei. Als wahre Nachfolger des Mohammed setzten die Schiiten eine Erb-Dynastie von „Imamen“ (= „Führer“, als Äquivalent zu „Kalif“) ein, angefangen bei Ali über Hasan, Husain und jeweils deren Söhne. Die Frage, wie lang die Kette der rechtmäßigen Imame in der Erbfolge ist, gab Anlass zu erneuten Spaltungen. Sie endet nach 5, 7 oder 12 rechtmäßigen Imamen, wobei dem jeweils letzten Imam eine besondere Stellung zugesprochen wird. Nach der Haupt-Richtung der sogenannten 12'er-Schia endet die Reihe der Imame mit dem 12. Imam Muhammad Abu'l-Qasims (910 n. Chr.). Er soll sich schon als achtjähriger Knabe geheimnisvoll in die Verborgenheit zurückgezogen haben und werde am Ende der Zeit als „Mahdi“1 wiederkehren. Nach dem letzten Imam haben die Ajatollahs die Führung der Schiiten übernommen. Das Kommen eines „Mahdis“ erwarten auch die Sunniten. Der Mahdi soll am Ende der Zeit zusammen mit Jesus als Befreier gegen den Teufel, das Böse und die Ungläubigen kämpfen und dem Islam endgültig alle Macht auf Erden verschaffen.

 

Die 12'er-Schiiten bestimmt heute im Iran und Irak als überwältigende Mehrheit die Religion und Politik. In den anderen islamischen Ländern leben Schiiten als Minderheiten (nur ca. 10% der Muslime sind Schiiten). Neben der 12'er-Schia („Imamiten“) gibt es noch kleinere Gruppen der 7er-Schia („Ismailiten“) und der 5'er-Schia („Zaiditen“).

 

Im Laufe der getrennten Geschichte entwickelten sich auf sunnitischer und schiitischer Seite sehr unterschiedliche Glaubensüberzeugungen und Frömmigkeitsformen. Bei den Schiiten wurden eigenwillige Vorstellungen ausgebildet: Eine Heiligenverehrung, mitunter bis hin zur quasi Vergöttlichung des Ali, wobei Mohammed verschiedentlich nur noch als Vorläufer des Ali angesehen wird. Nach Allahs Willen hätte Ali schon unmittelbar dem Mohammed folgen müssen. Die Schiiten erweitern das islamische Glaubensbekenntnis um Ali: „Ich bezeuge, dass kein Gott außer Allah und Mohammed sein (besonderer) Gesandter ist und Ali der Freund Gottes." Die Verehrung des Husain und Ali und deren rechtmäßig nachfolgende blutsverwandte Imame, bis hin zum Gräberkult und Wallfahrten, wurden üblich. Besondere Wallfahrtsorte sind Kerbela, wo Husain durch das Massaker der Sunniten umkam, und Natjaf mit dem Grab des Ali. Jährliche Passionsspiele werden zu Ehren des „Opfertodes“ des Husain3 und anderer Märtyrer sowie der nachfolgenden Imame und schiitischen Heiligen veranstaltet. Die Hadithe des Ali und der Imame wurden als verbindliche Richtschnur (Sunna der Schiiten) gesammelt. Die Imame gelten als sündlos, unfehlbar, allwissend, und ihre Lehren haben das gleiche Gewicht wie der Koran. Sie sind besondere Offenbarungs- und Heilswerkzeuge Allahs und befinden sich wie die Engel in seiner unmittelbaren Gegenwart.

 

Von den umayyadischen Kalifen und auch von den nachfolgenden sunnitischen Kalifen-Dynastien wurden die Schiiten bekämpft und verfolgt. Jahrhundertelang lebten die Schiiten in einem religiösen Bewusstsein der Verfolgung, des Sich-verbergen-müssens, der machtlosen Minderheit und des Martyriums. Von daher haben sie ihre besondere Prägung erhalten: eine schwülstige, überhitzte Frömmigkeit, Selbstmitleid und Verheimlichen ihres Schiitentums, ein irrationales Einnehmen einer Verteidigungsposition und fanatisches Festhalten ihrer Errungenschaften. Gegenseitig betrachten sich Sunniten und Schiiten bis heute als Häretiker und Feinde.

 

Die Schiiten sehen in den Sunniten diejenigen, die gegen Allahs Willen das Kalifat an sich gerissen und den von Allah von Anfang an zum wahren Kalifen erwählten Ali und dessen Sohn Husain ermordet haben. Sie werfen ihnen weiter vor, die von Allah eingesetzten Imame nicht anerkannt und damit den Islam verfälscht und verraten zu haben. Außerdem sind die Sunniten die geschichtlichen Verfolger und Erbfeinde der Schiiten.

 

Die Sunniten weisen dagegen darauf hin, dass die Schiiten Glaubenssätze und -praktiken eingeführt haben, die sich nicht auf Mohammed zurückführen lassen. Ja, sie würden im Widerspruch zur Sunna des Propheten stehen, welcher doch autoritativ das endgültige Siegel und der Abschluss aller Offenbarungen Allahs sei. Deshalb seien die Schiiten Häretiker, ja, vom Islam Abgefallene, die nach der sunnitischen Scharia eigentlich den Tod verdienen.

 

„Rechtsschulen“ des Islam

Bei den Sunniten wie auch bei den Schiiten existieren jeweils verschiedene „Rechtsschulen“ („Madhhab“), die von ihrem Wesen her eigentlich „Theologische Richtungsschulen“ heißen müssten. Bei den „Rechtsschulen“ geht es um die Auslegung von Koran und Sunna, um die Anerkennung und Bewertung der tausenden von Hadithe sowie um die Art und Weise von Schlussfolgerungen und das Finden theologischer Antworten und Lösungen in aktuellen Fragen, Problemen und Einzelfällen. Wobei ein „Rechtsgelehrter“ des Islam, entsprechend dem Islam, religiöse und weltliche Angelegenheiten als Einheit sieht, sie nicht trennt, sondern für alles zuständig ist. Er ist Theologe und zugleich Jurist und Politiker.

 

Bei den Sunniten existieren folgende vier Rechtsschulen:

 

gemäßigte Hanafiten, begründet von Abu Hanifa (699 – 767), hauptsächlich in den Ländern des ehemaligen Osmanischen Reiches, Ägypten, Mittelasien;

 

strenge Malekiten, begründet von Malik bin Anas (710 – 795), hauptsächlich in Nordafrika,

 

strenge Schafiiten, begründet von Al-Shafi'i (767 – 820), hauptsächlich im südöstl. Ägypten, am Horn von Afrika, in Südostasien

 

extrem strenge Hanabaliten, begründet von Ahmad bin Muhammed bin Hanbal (780 – 820), in Saudi-Arabien im Verbund mit den Wahhabiten .

 

Bei den Schiiten gibt es die dschafaritische Rechtsschule der 12'er Schia im Iran, begründet von Dscha far as-Sadiq (gest. 765) und die zaiditische Rechtsschule der 5'er Schia im Jemen.

 

Jeder Muslim muss sich einer dieser Rechtsschulen zuordnen lassen. Salafisten verweigern dies, neigen aber zu den strengen Hanabaliten.

 

Wahhabismus - asketisch sunnitischer "Wüsten-Islam" nach dem Vorbild des 7. Jahrhunderts“

Abd al-Wahhab (1703 - 1787/92) aus Arabien wandte sich als Reformator gegen die seiner Meinung nach islamwidrigen Neuerungen, die schon seit dem 9. Jahrhundert auch in den sunnitischen Islam eingedrungen waren: die kultische Verehrung Mohammeds und seine Anrufung, die Verehrung von Reliquien, von Heiligen und die Wallfahrten zu ihren Gräbern. Doch nur das wörtliche Verständnis des Korans und der Hadithe soll verbindlich sein. Jeder Analogieschluss und jede Auslegung hat zu unterbleiben. Nicht nur Alkohol, sondern auch Tabak und Kaffee sowie die Ornamentik sind verboten. Die religiösen Pflichten sind peinlichst zu beachten, werden von einer Religionspolizei überwacht und Verstöße streng bestraft.

 

Vergleichbar den Terrorkämpfern des ISIS hat in den Jahren 1924-26 die Familie Saud, im Bündnis mit der islamischen Sekte der Wahhabiten, in brutaler Weise, auch mit schwarzen Fahnen und auch zum Entsetzen der damaligen westlichen und islamischen Welt, Arabien erobert und eine Königsmacht etabliert. Aufgrund zunächst mangelnder Akzeptanz und um der Befürchtung entgegen zu wirken, dass der Zugang für Pilger nach Mekka und Medina versperrt werde, hat sich das saudische Königshaus den Titel „Hüter der heiligen Stätten“ zugelegt. Angesichts des expansiven ISIS bangen die Saudis nun um ihre inzwischen etablierte Macht und haben sich pragmatisch der Anti-Koalition der USA angeschlossen, obwohl sie der Theologie der ISIS sehr nahe stehen und die Vorgängergruppen finanziell sehr gefördert haben.

 

Da verwundert es nicht, wenn in Saudi-Arabien laufend neue islamische Fanatiker und Terroristen heranwachsen, die den Dschihad in alle Welt tragen und sich auch gegen das eigene Königshaus Saud wenden. Dem Königshaus wird vorgeworfen, dass es nicht mehr genügend asketisch und wahhabitisch sei. Die Zusammenarbeit mit den USA wird ebenso wie die mangel- hafte persönliche Askese und die vermeintliche Liberalität und Verwestlichung als „unislamische Regierungsweise" kritisiert. Wenn das Königshaus Saud äußerst zurück-haltende Liberalisierungen z.B. für Frauen in Aussicht nimmt, dann brechen Spannungen mit den wahhabitischen Ulama auf und Ultras streben den Sturz des derzeitigen saudischen Regimes an. Wer als "unislamischer Herrscher" eingestuft wird, der hat nach dem historischen Beispiel des 3. Kalifen Uthman den Tod verwirkt. Vor einigen Jahren stürmten und besetzten ultra-orthodoxe Aufständische die heiligen Stätten in Mekka, die dann tagelang von saudischen Regierungstruppen blutig zurückerobert werden mussten.

 

 

„Salafismus - "Vorbild der ehrwürdigen, rechtschaffenen Vorfahren“

In neuester Zeit hören wir aus den Medien immer wieder vom „Salafismus“ und „Salafisten“. Besonders durch ihre Koran-Verteilaktionen sind sie in den Blickpunkt geraten. Dabei entsteht der Eindruck, als handele sich um eine neue radikale islamische Richtung. Aber die Bewegung formierte sich schon Anfang des 20. Jahrhunderts.

Die Bezeichnung Salafisten stammt aus dem Arabischen (as-Salaf as Salih) und lautet frei übersetzt „Vorbild der ehrwürdigen, rechtschaffenen Vorfahren“. Damit sind die ersten drei Generationen nach Mohammed gemeint. Allein nachderen Beispiel aus dem 7. Jahrhundert solle der Islam verstanden und gelebt werden. Die sich erst ab dem 9. Jahrhundert entwickelten vier sunnitischen Rechtsschulen (Hanafiten, Malikiten, Schafiiten, Hanbaliten) werden verworfen, womit faktisch eine neue „Rechts-schule des Salafismus“ entstanden ist. Von der Fülle der Hadithe und Sunna werden nur wenige, als „echt und authentisch“ anerkannt. Von seiner Entstehung und Religiosität ist der Salafismus sunnitisch und bewusst arabisch geprägt. Innerhalb der weltweiten islamischen Gemeinschaft (Umma) fördert er den Vorrang der arabischen Sprache, Denkweise, Kultur und Frömmigkeit. Die Muslime sollen weltweit arabisiert werden. In so fern gibt es eine sehr große Übereinstimmung mit dem Wahhabismus Saudi-Arabiens. Mittlerweile werden die Bezeichnungen Wahhabismus und Salafismus austauschweise verwendet.

 

Unter dem Einfluss des saudi-arabischen Osama bin Laden bezeichnete sich dann eine islamisch-revolutionäre Gruppe in Algerien als „Salafisten“. Über demokratische Wahlen wären sie in Algerien an die Macht gelangt, was jedoch durch einen Militärputsch mit Verboten und brutalen Verfolgungen verhindert wurde. Im Zuge des sogenannten „arabischen Frühlings“ haben sich Salafisten dann auch in anderen arabischen Staaten als orthodox-islamische Parteien etabliert und zur Wahl gestellt.

 

In Deutschland sollen sich ca. 5000 Muslime als Salafisten verstehen. Einer ihrer prominentesten Repräsentanten und Prediger ist der zum Islam konvertiere deutsche ehemalige Berufsboxer Pierre Vogel. Nicht alle Salafisten treten offen für einen gewaltsamen "Dschihad" ein, aber alle an terroristischen Gewalttaten beteiligten Muslime hatten und haben einen salafistischen Hintergrund und salafistische Überzeugungen.

 

Sufi-Islam oder Tariqa-Islam - mystischer Islam

Sufismus ist eine tausend Jahre alte mystische Richtung des Islam, die in Männerorden gepflegt und von diesen bis heute verbreitet wird. Die Ordensglieder wurden nach ihrem braunen Wollkleid (Suf) "Sufis" genannt. Ihre Lebens- und Missionsweise haben sie maßgeblich von syrischen und ägyptischen christlichen Mönchen entlehnt. Sufis lehren den "mystischen Islam", treiben Seelsorge und soziale Fürsorge im Volk und genießen hohes Ansehen und Einfluss. Die Sufi-Orden haben viele Anhänger und Sympathisanten, die nicht unmittelbar in der Mönchsgemein-schaft leben. Sufis haben im 11. Jahrhundert die türkischen Seldschuken vor und während der Einwanderung nach Anatolien friedlich zum Islam geführt, ebenso wie schon im 8. Jahrhundert die Berber in Nordafrika. Auch die islamischen Großmoguln in Indien (1526 -1858) waren von einem toleranten Sufi-Islam geprägt. Nur so war das Beherrschen der hinduistischen Mehrheitsbevölkerung möglich4. Heute haben Sufis mit ihrem mystischen Islam auch begrenzte Missionserfolge unter verweltlichten Christen.

 

Es gibt ca. 70 Sufi-Orden. Jeder Orden hat eigene Techniken, um Allah geistig nahe zu kommen, ja, sich in ihm wiederzufinden. Während die einen bei ihren Zusammenkünften still im Kreis sitzen und jeder für sich die Gebete oder Formeln nur innerlich spricht, pflegen andere diese laut und oft mit Körperbewegungen unterstützt zu wiederholen. Manchmal kommen Atemübungen dazu. Am bekanntesten sind die Derwische von Konya, die sich drehend in Trance tanzen. Der mystische Islam wird auch „Tariqa-Islam" genannt - "viele Wege führen zu Gott". Der orthodoxe Islam erkennt im mystischen Islam nur Irrlehre, verfolgt und bekämpft ihn.

 

Eine bedeutende Sufi-Richtung will den Menschen auf mystischem Wege die unerschöpfliche zuvorkommende Liebe Gottes erfahren lassen und sie zur antwortenden Liebe zu Gott hinführen (ein Anknüpfungspunkt für christliche Mission). Für manche Sufis ist Jesus ein vorbildhafter einmaliger Sufi. Es darf also nicht verwundern, wenn sufi-fromme Muslime Christen tolerant, liebenswürdig und wohlwollend gegenübertreten.

 

Exkurs Mystik

Mystik gibt es nicht nur im sunnitischen und schiitischen Islam, sondern in allen Religionen, auch im Judentum und Christentum, am ausgeprägtesten im Hinduismus und Buddhismus. Der Mystik geht es um ein unmittelbares seelisches Erleben, um eine unmittelbare seelische Begegnung und seelische Erfahrung mit Gott, im Extremfall um ein seelisches Verschmelzen mit Gott - ja, um ein kurzzeitiges "Gott-werden".

 

Mit verschiedenen Mitteln der Selbstsuggestion, wie extremes Fasten und Askese, Meditation, Musik- oder Tanz-Ekstase (Rauschgift), versetzt sich der Mystiker in einen Trancezustand und hat das "mystische Gotteserlebnis" - das Erfahren der Nähe bzw. Liebe Gottes. Da nimmt der vermeintliche "direkte Gottes-kontakt" eine gleichberechtigte Stellung neben der Offenbarung (Koran) ein und gewinnt oftmals für den Mystiker noch eine höhere Bedeutung als die offizielle Lehre seiner Religion. Die offizielle Religionslehre wird mehr und mehr zur äußeren Hülse seiner persönlichen Gotteserfahrungen. Das mystische Ziel ist die Befreiung des Menschen, seines innersten Seelenkerns aus der Unheilssituation der Erdgebundenheit. Es geht um die Hinüberrettung seines ganzen Wesens mit Denken, Fühlen, Wollen in das absolute reine Ur-Sein (Selbsterlösung durch Psychotechniken). Die historischen Offenbarungsereignisse werden für den Einzelnen immer unwichtiger. So bewegt sich der Mystiker immer am Rande der Häresie.

 

Es stehen sich letztlich zwei grundlegend unterschiedliche Frömmigkeitstypen gegenüber:

 

Nüchterne Offenbarungsfrömmigkeit: Sie ist aktivistisch, fordernd, alle ergreifend, gemeindebildend, hat ein personales Gottesbild, ist historisch, dogmatisch (lehrhaft), ist intolerant, denn sie erhebt den Wahrheits- und Absolutheitsanspruch, hat einen universellen Geltungsanspruch.

 

Schwärmerische mystische Frömmigkeit: Sie ist das Gegenteil, passiv, individualistisch, hat eine All-Einheitsvorstellung von Gott, ist ahistorisch, undogmatisch, tolerant, wendet sich esoterisch (verborgen) nur an Eingeweihte. Bei Mystikern stellt sich schnell die Haltung ein, dass es auf die äußere historische Religion nicht so entscheidend ankommt, sondern auf das persönliche Gottes-verhältnis, auf das mystische Erlebnis. So fühlen sich oftmals Mystiker verschiedener Religionen einander mehr verbunden als mit den eigenen orthodoxen Glaubensbrüdern.

 

Am Rande des Islam - „Volks-Islam“

Der Begriff „Volksislam" meint die besondere Ausformung, die der Islam in breiten Bevölkerungsschichten einzelner Länder oder Regionen gefunden hat. Zugleich besagt er auch, dass es sich dabei um Glaubensüberzeugungen, Frömmigkeitsformen und Praktiken handelt, die nicht im Koran oder der Sunna begründet sind. Deshalb werden sie vom orthodoxen Islam nicht vertreten, sondern nur geduldet oder auch abgelehnt. Die eigentlichen Inhalte sind von Land zu Land und Volk zu Volk sehr unterschiedlich. So haben der Volksislam der Türkei, Indonesiens, Pakistans und Schwarzafrikas kaum Gemein-samkeiten. Der Volks-Islam gründet sich auf Aberglaube, Magie, Heiligenkult und vorislamische ethnische Sitten und Gebräuche. Zu nennen sind die Amulette der blauen Augen, die den bösen Blick abwenden sollen oder die beschützende „Hand der Fatima“ oder das Anbringen eines Handabdrucks an der Wand mit Blut vom Opferfest. In der Türkei und in Ägypten hat der Volks-Islam ein stark mystisches Gepräge, was ihn persönlicher und toleranter werden lässt.

 

Mitunter werden auch verweltlichte Muslime als Anhänger des Volks-Islam bezeichnet. Sie sollten allerdings zutreffender als „Namens-Muslime" - analog zu „Namens-Christen"- oder als Anhänger eines „Kultur-Islam" bezeichnet werden.

 

Aleviten und Bektaschiten

Diese Richtung wurde im 13./14. Jahrhundert in der Türkei durch Haci Bektas Veli begründet. Sie führt sich auf den 6. Iman Dschafer zurück, der das wegweisende Offenbarungsbuch "Buyruk" ("Erlass") mit ethischen Weisungen und der frühen islamischen Geschichte verfasst haben soll. Aleviten bestreiten, Schiiten zu sein, sind aber quasi Anhänger der 12'er Schia in mystischer Ausprägung (gnostische Einflüsse). Sie gehen von einer Dreieinigkeit „Gott - Mensch - Natur“ aus. Der Koran wird als verbindlich, aber als menschliches Werk verstanden. Sie verehren Allah, Mohammed und Ali als göttliche Einheit (islamische Trinität) und feiern jährlich eine Fasten- und Passionszeit zu Ehren des 4. Kalifen und Imams Ali und der folgenden ermordeten Imame. Dabei tanzen sie einen kultischen Tanz und halten ein kultisches Gemeinschaftsmahl.

 

Sie sehen sich der äußeren Ebene, den religiösen Pflichten des Islam nicht verpflichtet. Deshalb trinken sie auch mäßig Alkohol, essen Schweinefleisch und haben keine Moschee, sondern ein "Gemeindehaus". Sie sind eine sozial fürsorgliche Gemeinschaft und sehen sich humanistischen Idealen ohne eine feste Dogmatik verpflichtet. Deshalb sind sie tolerant und frei von Fanatismus. Sie lehnen die Scharia ab, treten für Toleranz, Religionsfreiheit, Menschenrechte, Gleichberechtigung der Frau und Trennung von Staat und Religion ein. Christen gegenüber sind sie aufgeschlossen, lehnen aber die Erlösungsbedürftigkeit des Menschen ab. Erlösen kann sich der Mensch selbst, wenn er in sich selbst, in jedem Menschen und in der Natur Gott erkennt.

 

Die Bektaschiten bilden eine Ordensgemeinschaft, deren Glaubensinhalte im Wesentlichen denen der Aleviten entsprechen. Sie unterscheiden sich hauptsächlich darin, dass man Alevit nur von der Abstammung her sein kann und eine Konversion zum Alevitentum nicht möglich ist. Beim Bektaschiten-Orden kommt es dagegen nicht auf die Abstammung an und jeder kann zu ihnen konvertieren. Das Alevitentum ist mehr in ländlichen Gebieten, die Bektaschiten sind mehr in den Städten anzutreffen.

 

Bis vor einigen Jahrzehnten mussten die Aleviten vor der sunnitischen Mehrheit selbst in der laizistischen Türkei ihr Sonderbekenntnis verheimlichen. Sie sind vorwiegend Kurden und politisch sozialistisch orientiert. Man kennt ihre genaue Zahl nicht, schätzt jedoch, dass 15 - 30% der Türken Aleviten in unterschiedlichster Ausprägung sind. In Deutschland haben sie begonnen, öffentlich eigene Gemeinschaften zu bilden.

 

 

Gemeinschaft der Ahmadiyya – Muslime (Ahmadis)

Die Ahmadiyya-Muslime sind eine Sondergemeinschaft, die von anderen Muslimen als außerhalb des Islam stehend, entsprechend unterdrückt und mitunter blutig verfolgt wird. Begründet wurde die Sondergemeinschaft vom Großgrund-besitzer Mirza Ghulam Amad al Qadiana 1839 - 1908 im Panjab / Indien. Er gab sich als ein neuer von Allah gesandter Propheten aus, der Mohammed übertrifft bzw. vollendet, als die islamische Endzeitgestalt des „Mahdi" und wiederverkörperter Jesus. Qadian wurde die neue heilige Stadt und neue Gebetsrichtung. Ahmadis haben ein sehr rationales Religionsverständnis.

 

Von ihnen stammt auch die von der westlichen Presse wiederholt aufgegriffene Behauptung, Jesus habe die Kreuzigung überlebt, sei nach Kaschmir ausgewandert, habe dort weiter gewirkt, eine Familie gegründet und sei dort schließlich im Alter von 120 Jahren gestorben und begraben worden. Im Gegensatz zu anderen Muslimen bestreiten Ahmadis, dass Jesus am Ende der Zeit wiederkommen werde, denn Jesus sei schließlich gestorben und in Kaschmir begraben. Ein anderer werde unter seinem symbolischen Namen kommen, der endgültig das Kreuz zerbrechen und die Schweine töten wird, was eindeutig auf die Kirche, die Christen und Juden zielt. „Die Ahmadiyya-Bewegung steht für eine äußerst harsche Kritik am Christentum. Mehrere polemische Schriften gegen den christlichen Glauben und den Westen sind in deutscher Sprache veröffentlicht worden.“5 Sie ist in der westlichen Welt sehr aktiv in der Selbstdarstellung und wirbt verstärkt zum Übertritt in ihre Gemeinschaft.

 

Ahmadis treten öffentlich für eine Trennung von Religion und Staat ein, lehnen einen gewaltsamen Djihad ab und geben sich humanistisch. Das bringt ihnen Wohlwollen und Verständnis in der westlichen Welt ein. Sie sind finanzkräftig und treiben offensive Öffentlichkeitsarbeit und Mission, vor allem durch den ständigen Ausbau eines Netzes von Moscheen. Kritiker behaupten, dass es sich bei den Ahmadis um eine Psycho-Sekte mit ausgeprägt finanziellen Ambitionen handelt. Gesteuert werden die Ahmadis von einem Familienclan, einer erneuerten Kalifen-Dynastie mit derzeitigem Sitz in London. Von dort wird gezielt, aber verdeckt nach Macht und Einfluss in der westlichen Welt gestrebt.

 

Fußnoten

1  Mahdi = "der von Allah "Rechtgeleitete"

Ajatollah = „Zeichen Allahs“ - hohe Rechtsgelehrte des Schiiten

 

Peter Heine, a.a.O., S. 40: Zu „Passionszeiten“ lässt man Tag und Nacht einen Märtyrerbrunnen mit künstlichem Blut fließen. Husain soll in seinem Martyrium die Möglichkeit gesehen haben, für die Sünden der Menschheit zu sühnen. Könnte das auf christliche Einflüsse zurückzuführen sein?

 

Nach orthodox-islamischer Lehre sind Hindus als Polytheisten einzustufen, die vor die Wahl zu stellen sind, zwischen Tod oder den Islam anzunehmen.

Der mystische und liberale Islam aus der Zeit der Großmoguln wurde jedoch nach Staatsgründung Pakistans 1947 schrittweise vom orthodoxen Islam verdrängt. Diese Verdrängung wurde ab 1980 von einem orthodox-islamischen Militärmachthaber und 18.000 Koranschulen noch beschleunigt und intensiviert. Gemäß der neuen Verfassung steht über der Gesetzgebung, Rechtsprechung und Staatsführung die orthodoxe Scharia. Taliban und anderen Extremisten geht das noch nicht weit genug und sie bilden eine militante und terroristische Opposition. Von ihnen werden ganze Provinzen beherrscht.

 

Christine Schirrmacher, „Der Islam – Eine Einführung“, S. 79, Hrsg. Institut für Islamfragen der Deutschen Evangelischen Allianz e.V., Verlag St. Johannes Druckerei, Lahr, 2005

 

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